Der Aufruf #friedlichzusammen ging mir nahe. Ich fand es endlich an der Zeit, selber hinzugehen. Es wäre meine dritte Demo geworden.
Die erste war irgendeine im Herbst ´89 oder auch schon zu Beginn ´90, ich war gerade von den Grenztruppen entlassen worden und sah mir die Wende mehr oder weniger im Fernsehen an. Ich hatte eine Praktica MTL5, und mit der machte ich mich auf den Weg, nun auch Zeitzeuge zu werden. Besonders erinnere ich mich an den distanzierten Blick von Reinhard Schult, der sicher dachte, ich sei einer von den vielen Stasi- Fotografen. Ich war verletzt und hatte an diesem Tag keinen Biss mehr.
Meine nächste Demo war die Anti- Faschismus- Demo nach der Besudelung des Ehrenmals in Treptow mit Nazi- Symbolen. Eine Menge Leute waren da, um den Anfängen zu wehren. Heute sieht es mehr danach aus, als wären wir damals einer False- Flag- Aktion der Stasi aufgesessen, denn es ging ziemlich stramm darum, die Sicherheitsstrukturen der DDR aufrecht zu erhalten. Naja, ich erinnere mich vor allem an eine völlig überdimensionierte Ballonmütze, von der mir jemand gesagt hatte, sie sei ein grusinische. Ich glaube, ich habe sie nur dort und also ein einziges Mal getragen, gewissermaßen wie ein gefühlt Ufo- großes Fanal meiner nun erlangten modischen Freiheit. Wie peinlich.
Ihr könnt schon sehen, ich bin nicht so der Demo- König, überhaupt fällt mir das bloße Hingehen oft schwerer als mir lieb ist.
#Allesdichtmachen hatte mich, nach der ganzen Zeit der Fassungslosigkeit, wirklich sehr ergriffen. Ich war für einen Moment sicher, der Bart ist ab. Seitdem verehre ich Brüggemann umso mehr, je stärker er- besonders von seiner eigenen Community- für seine Haltung angefeindet wird. Ich kann ein Stück weit nachvollziehen, was dazu gehört, wenn er sagt „Wenn ich keine Filme mehr machen soll, dann ist es eben so.“. Und trotzdem nicht damit aufhört, ein notorischer Kritikaster zu sein. Ich erinnere mich, dass es nicht gerade einfach ist, sehenden Auges in Konsequenzen zu laufen, die man gar nicht abschätzen kann. Für mich ging´s damals nur um den Abschluss an der Humboldt- Uni, und ich fühlte mich sehr stark, aber am Ende war der- bezahlbare- Preis ein nicht abgeschlossenes Lehrerstudium, ein Jahr als Lagerarbeiter und Briefträger, dann kam ich ja zur Armee (Grenze, wie gesagt) und dann wurden die Karten neu gemischt. Für gestandene Filmemacher und Schauspieler geht´s hingegen um die ganze Karriere, und wir alle wissen, an welch seidenem Faden die- von Jahr zu Jahr mehr- hängt.
Ich mag Querdenken 711 nicht, ich konnte Schiffmann nie leiden, auch andere, viel zu marktschreierische Protagonisten sind mir extrem fremd. Mich widert genauso das nicht enden wollende, über alle Maßen niveaulose Framing der Mainstream- und selbsternannten Leitmedien an, die alle Kritiker als „Querdenker“, „Rechte“ und „Flacherdler“ denunzieren, ohne müde und ohne rot zu werden. Umso stärker ist meine Sehnsucht nach einer tragfähigen Gemeinschaft der Gegenwehr, die von links kommt und dort auch bleiben will. Deshalb war der 18.12.21, der Tag der „friedlichzusammen“- Demo, der Tag der Tage. Das Datum, an dem ich endlich aus dem Schatten meiner Facebook- Empörung treten und mein Gesicht wieder in die Höhe recken würde, entschlossen und frei.
Meine Entschlossenheit blieb erhalten, auch als die Demo verboten wurde. Ich ging hin, und ich nahm meine Kamera mit.
Um 12:00 am Brandenburger Tor war sicher was los, aber weit weniger als erwartet. Auf der Westseite agierte eine Gruppe christlicher Bekehrer mit Mikrofon und Musik, Fahnen mit Motiven der großen Religionen wurden geschwenkt. Das Tor selbst war zu diesem Zeitpunkt offen, aber Absperrgitter lagen bereit. Auf dem Pariser Platz jede Menge Polizei, eine „wilde“ Demo war nicht zu erkennen. Aber, immer mehr Versprengte trafen auf Fahrrädern oder zu Fuß ein und sammelten sich in kleinen Gruppen. Man kannte sich. Ich sah Pappschilder in Fahrradtaschen. Ein Mann hielt eine sehr kurze, aber ekstatische Rede und wurde angestaunt. Bald gab es die erste Durchsage der Polizei: „Die Demonstration ist verboten worden. Es wird hier und auch an keinem anderen Ort eine Demonstration stattfinden. Wir fordern Sie auf, den Platz in alle Richtungen zu verlassen.“
Ein waschechter, sympathischer Hippie mit angegrautem Rauschebart und großen weißen Hängebommeln an der Strickmütze stieg vom Fahrrad ab und sah sich routiniert nach Gleichgesinnten um. So langsam kam ein bisschen Bewegung in die Sache. Die Polizeidurchsage wurde mehrfach wiederholt. Das Tor wurde dichtgemacht und die Polizei rückte in kleinen Gruppen auf den Pariser Platz vor, um die Leute anzusprechen. So wie ich das sehe, ließ man Touristen gerne und freundlich gewähren, die inzwischen gut erkennbaren Kritikaster wurden höflich, aber nachdrücklich auf das Ansammlungsverbot aufmerksam gemacht. Sobald Schilder gezeigt wurden oder gar der Versuch unternommen wurde, Krach zu machen, ging es zügig zur Sache. Die meisten der illegalen Demonstranten waren tatsächlich Frauen in mittlerem Alter, deutlich weniger Männer, einige Pärchen.
Der nette Hippie hatte eine Flöte ausgepackt und spielte für einige der Damen zum Tanz auf, ich meine, es gab „Danser encore“. Das ging nicht lange so, der Gute wurde festgenommen und in Richtung Tor abgeführt. Aus der Diskussion der Polizei mit einer Gruppe, die aus Frauen mit roten, gekreuzten Bändern zum Zeichen ihres Ungeimpftseins und einem älteren Herrn mit Mantel und Strickmütze bestand, entwickelte sich bald der größte Aufreger des Tages. Der Mann brüllte laut „Faschisten seid ihr, Faschisten!“, was sehr schnell die Meute der Berichterstatter auf sich zog. Es entwickelte sich eine kurze Pöbelei mit einem Polizeiführer, der noch einmal nachfragte, ob der Mann ihn als Faschisten bezeichnen wolle. Der Mann bejahte das mit hochgereckter Faust und sah sich dann mit der Ankündigung konfrontiert, dass er nun eine Anzeige wegen Beleidigung zu erwarten habe. Seine Entgegnung „Na, dann nehme ich´s zurück“ korrespondierte nicht gerade mit der martialischen Pose von eben, half aber auch nicht. Er wurde festgenommen und abgeführt. Ich sah noch eine Frau mit einem Transparent, die in Höhe Adlon festgenommen worden sein musste und einen Paukisten, mit dem die Polizei ebenfalls nicht viel Federlesens machte. Die Taktik schien klar zu sein: „Aufwiegler“ werden niederschwellig und umstandslos herausgezogen und abgeführt, sich ruhig verhaltende Sympathisanten werden höflich, aber bestimmt „weggesprochen“ und vom Platz gedrängt.
Ich erkannte Aya Velasquez und fragte, ob ich sie fotografieren dürfe. Sie lehnte das ab und drehte Twitter- Videos, in denen sie ihrer Auffassung Ausdruck verlieh, dass nicht angekündigte, in vorauseilendem Gehorsam maskentragende und abstandhaltende Großdemos, sondern zufällige Sitzblockaden „the way to go“ seien.
Ich hatte mitbekommen, dass einige offensichtlich vernetzte Anwesende eine Fortsetzung der illegalen Demo am Checkpoint Charlie für eine Stunde später erwarteten, also machte ich mich langsam dorthin auf den Weg. Mir war inzwischen klar, dass die Leute, die gekommen waren, in der Mehrzahl regelmäßige Demonstranten sein mussten, viele schienen sich ganz gut zu kennen und offensichtlich gab es auch eine Art Taktik, wie man der Polizei ein Schnippchen schlagen wollte. Ich sah niemanden, den ich sicher den Organisatoren von #friedlichzusammen hätte zuordnen können, keine Schauspieler oder so. Naja, die hatten ja auch abgesagt. Der nette Hippie war wieder frei, er hatte eine OWi aufgebrummt und einen Platzverweis bekommen.
Auf meinem Weg die Friedrichstraße runter hörte ich hinter mir Sprechchöre rufen. Ich wartete und sah eine kleine Gruppe von Leuten auf der Straße, die ein Megaphon dabei hatten und sich nicht davon abschrecken ließen, dass sie nur ein kleines Häuflein Aufrechter gegen die Zumutungen der Pandemisten sind, allein gegen die „schweigende, vernünftige Mehrheit“, den Straßenverkehr und das schlechte Wetter. Auch hier wieder in der Mehrzahl tapfere, fröhliche Frauen, ganz klar linksliberales, ökologisch korrektes Klientel. Ich reihte mich ein, für eine Strecke auf der Friedrichstraße nicht mehr nur Chronist, sondern echter Demonstrant. Naja, am Ende ging eine Gruppe Menschen, einige mit Fahrrädern, entgegen der StVO eine Zeitlang auf der Straße.
Kurz vor Checkpoint Charlie kam ein Greiftrupp mit außen getragenen Schienbeinschützern auf uns zu. Offensichtlich hatten sie es auch hier auf den Aufwiegler, den Typen mit dem Megaphon, abgesehen. Der schwuppte zackig hinter eine Werbetafel und ließ das Megaphon verschwinden, bevor er sich selbst in Luft auflöste. Ich war mit dem Fotografieren der Polizeitruppe beschäftigt und sah die dann, etwas ratlos, hinter der Werbesäule niemanden mehr auffinden.
Am Checkpoint Charlie dann ein auch wieder recht übersichtlicher Menschenauflauf, der sich allerdings mehr und mehr verdichtete. Auch hier gab es wieder einen „Aufwiegler“ (den Begriff hatte ich den Funkdurchsagen eines Polizeiführers entnommen), ein Charaktertyp, der auf der Straße stand und Sachen rief, um dann kurze Zeit später mit großem Getöse und viel Rennerei festgenommen zu werden. Die Leute standen auf allen Seiten der Kreuzung, die Straße war mehr oder weniger gesperrt, einzelne Autos bahnten sich unter wütendem Hupen ihren Weg. Ebenso unbescholtene, sicher durchgeimpfte Fahrradfahrer, die laut über „die Spinner“ schimpften und auf keinen Fall absteigen wollten.
Bald begannen Chorgesänge („Die Gedanken sind frei“) und eine Polizeigruppe verlegte unter Applaus in geordneter Reihe von einer Ecke vor dem Panorama in eine andere. Dort standen sie mit dem Rücken zur Wand und warteten auf Anweisung. Eine distinguierte Dame mit KaDeWe- Tasche wurde abgeführt. Die Polizei verhängte Maskenpflicht, zu der „einmalig aufgefordert“ und die dann akzentuiert durchgesetzt wurde. Ich sah den Paukisten vom Pariser Platz wieder, allerdings jetzt ohne Instrument, der einfach nur dagestanden hatte und dann von einem Greiftrupp geholt wurde, auf ihn mit Gebrüll. Verhaftung und Verbringung in die Wanne waren ein ordentlicher Auflauf, Leute johlten, Polizisten rangen und andere sprangen hinzu, um gegen den Mob abzuschirmen. Der Paukist lag mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf der Straße und wurde dann in den Sprinter gezerrt. Klappe zu.
Plötzlich laute Musik aus einem Lautsprecherwagen, irgend so ein Emo- „Aufstehen“- Schlager. Trotzdem ein bisschen Gänsehaut, ich bin gespannt. Polizeimotorräder, ein Konvoi. Ah, „Autokorso Berlin“ trifft ein. Plötzlich wandelt sich die Situation, aus der verbotenen Demonstration, die weder am Brandenburger Tor noch an einem anderen Ort heute stattfindet, wird irgendwas Offizielles, Erlaubtes. Die Kreuzung ist voller Menschen, für den Verkehr gesperrt. Es gibt einen Redner mit Sendemikro, den ich schonmal irgendwo im Netz gesehen habe, dazu Ordner mit blauen Westen. Der Redner sagt eine Menge Sachen, aber ist mir mit den anderen Gnatzköpfen seiner Entourage ziemlich unsympathisch und ich habe stark den Eindruck, ich sei ganz plötzlich in ein ganz anderes Geschehen gebeamed worden. Plötzlich werden laut und deutlich maßnahmenzersetzende Reden gehalten, mehrere Sprecher kommen zu Wort, auch das Wort „Patrioten“ fällt. Ein einzelner Antifa- Aktivist hat zunächst eine JBL- Box in der Hand und versucht, Gegenmusike zu machen, ziemlich aussichtslos. Der recht routinierte Hauptredner bittet um Wortmeldungen und spricht glatt den Antifa- Aktivisten an, der sich nicht lumpen lässt und den Text eines Intensivpflegers vorliest, der seinerseits die Ignoranz der Impfgegner nicht mehr erträgt. Auch beschwert er sich, dass die Antifa „von euch“ als Nazis und staatstreu bezeichnet wird, dabei seien sie gegen den Staat und wir würden von Leuten wie Schiffmann verarscht. Jemand ruft laut: „Aber wo sind denn die Intensivbetten, wo sind sie denn geblieben?“. Das bin ich. Der erfahrene Moderator wiegelt mit großer Geste ab, hier darf jeder seine Meinung sagen. Der Antifa- Mann schließt mit der Aufforderung „Lasst euch impfen!“ und wird für seinen Mut vom Hauptredner und Moderator gelobt, was Beifall verursacht. Für mich ist das irgendwie alles der falsche Film, und Autokorsos würde ich nicht nochmal besuchen, auch nicht als Statist. Auf Google finde ich später nichts über den Autokorso Berlin, der aber jede Woche durch die Stadt zu fahren scheint. Das würde auch erklären, warum plötzlich alles so sittsam und einvernehmlich ablief und woher ein großer Teil der Leute kamen, die sich am Checkpoint Charlie versammelt hatten.
Zeit, nach Hause zu fahren, sich um die Fotos zu kümmern und alles mal sacken zu lassen.